20
Dezember
2023
|
11:02
Europe/Amsterdam

Was ist Waldbaden (Shinrin-Yoku)?

Lesedauer: 4 minuten

Wir haben uns mit Lisa, einem qualifizierten Coach für Waldbaden und einer erklärten Naturliebhaberin, getroffen, um mehr über die Praxis des Shinrin-Yoku zu erfahren. Was genau ist Waldbaden (und braucht man dafür Badesachen)? Geht es auch, wenn man keinen Wald vor der Haustür hat? Und welche Vorteile kann diese japanische Praxis mit sich bringen?

Lisa, wie haben Sie zuerst vom Waldbaden erfahren?

Ich bin seit meiner Kindheit eine große Naturliebhaberin. Ich habe immer draußen etwas gepflanzt und in der Erde gebuddelt! Aber Waldbaden ist kein Baden im wörtlichen Sinne – es bedeutet, in den Wald einzutauchen. Vor etwa einem Jahr habe ich in einer Zeitschrift etwas über das Waldbaden gelesen. Kurz darauf sah ich ein Buch über Shinrin-Yoku (das ist der japanische Begriff) und war völlig gefesselt.

Die Natur kann unsere geistige Gesundheit unterstützen – und interessanterweise auch unsere körperliche Gesundheit. Das Konzept gefiel mir so gut, dass ich mich fragte: „Kann ich eine Qualifikation dafür erwerben?“ Ich habe recherchiert, und ein Kurs startete gerade – es war wirklich, als sollte es so sein. Ich habe den Kurs bestanden und so viele Bücher gelesen. Ich war völlig fasziniert von allen Aspekten dieses Themas.

Wie läuft das Waldbaden ab?

Man kann das Waldbaden in einer Gruppe oder alleine erleben. Wenn ich eine Gruppe leite, verbringe ich normalerweise ein paar Stunden im Wald. Ich liebe es, die Natur zu fotografieren, aber um das Waldbaden voll auszuschöpfen, sollte man keine Kamera und kein Handy mitnehmen. Es ist im Prinzip nur ein bewusstes Verlangsamen, bei dem man sich auf alle seine Sinne konzentriert, um den Wald zu sehen, zu hören, zu riechen und zu berühren.

Ich habe im Wald so viele unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten und so viele faszinierende Dinge gefunden, die man normalerweise nicht bemerken würde. Manchmal sind wir zu sehr damit beschäftigt, einen Fuß vor den anderen zu setzen, uns mit Freunden zu unterhalten oder Musik zu hören, während wir durch den Wald gehen. Dabei verpasst man all die schönen natürlichen Geräusche.

Die Wanderungen sind nicht lang – vielleicht nur ein oder zwei Kilometer pro Veranstaltung. Und weil man nicht viel gehen muss, braucht man nur eine nahe gelegene Grünfläche mit Bäumen zu finden. Beim Waldbaden geht es darum, achtsam die kleinen Dinge wahrzunehmen, daher muss es kein großes Gebiet sein.

Welche Aktivitäten führen Sie durch?

Es gibt viele verschiedene Aktivitäten, mit denen man die Sinne öffnen kann. Eine meiner Lieblingsaktivitäten ist, auf dem Waldboden zu liegen und das Licht zu betrachten, das durch die Bäume fällt. Die Japaner nennen es „Komorebi“. Das funktioniert besonders gut, wenn es ein sonniger Tag ist, weil man dann all die Schatten sieht.

Eine weitere gute Aktivität ist bewusstes Hören. Man verbringt etwa 15 bis 20 Minuten damit, einfach ruhig zu sitzen, die Augen zu schließen und zu lauschen. Wenn man sich konzentriert, hört man den Gesang von Vögeln in unterschiedlicher Entfernung – einige ganz in der Nähe, andere weit entfernt. Man hört das Rascheln der Blätter in den Bäumen und das Knarren der Äste, das Summen von Insekten und das Knacken, wenn sich Tiere durch das Unterholz bewegen. Dann merkt man erst, wie lebendig die Welt ist!

Um das Sehvermögen zu aktivieren, kann man sich einfach hinsetzen und sich auf einen kleinen Bereich des Waldbodens konzentrieren. Auch hier ist alles lebendig – es ist nicht einfach nur ein Stück Erde. Man sieht Insekten krabbeln, und Pflanzen und Blütenblätter bewegen sich im Wind. Man sieht Muster und Schatten. Man bemerkt plötzlich ganz kleine Dinge: wie ein Blatt von einem Insekt angenagt wurde oder die verschiedenen Arten von Samen an den Bäumen. Man kann auch auf „Texturjagd“ gehen und sich Moose, Farne und die Lamellen von Pilzen ansehen – die Möglichkeiten sind endlos!

Wie hilft uns das Waldbaden, uns zu entspannen?

Wenn wir arbeiten oder eine Tätigkeit wie Autofahren ausüben oder fernsehen, nutzen wir die sogenannte „gerichtete Aufmerksamkeit“. Das ist ein bestimmter Teil des Gehirns, der sich auf eine einzelne Sache konzentriert. Nach einer Weile beginnt unsere Konzentration nachzulassen und wir ermüden geistig. Beim Waldbaden ruht sich der Teil des Gehirns aus, der für die gerichtete Aufmerksamkeit genutzt wird – Wissenschaftler nennen es „sanfte Faszination“. Es erfrischt Sie geistig. Bei mir erzeugt es viele kreative Ideen.

Wann ist die beste Jahreszeit für das Waldbaden?

Wie es so schön heißt: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur ungeeignete Kleidung.“ Man kann das Waldbaden zu jeder Jahreszeit ausüben, solange man angemessen gekleidet ist. Ziehen Sie sich im Winter einfach warm an und nehmen Sie eine Unterlage zum Sitzen mit. Es ist auch sehr interessant, wenn es regnet, solange es nicht gerade wie aus Eimern schüttet! Es entspannt, dem Rauschen des Regens zuzuhören und zu beobachten, wie die Tropfen über die Blätter herablaufen.

Der Herbst ist eine schöne Zeit für das Waldbaden. Zu dieser Jahreszeit ist der Wald so bunt mit all den Blättern, verschiedenen Pilzarten und leuchtend grünen Moosen. Jede Jahreszeit hat ihre eigenen Vorzüge und Besonderheiten.

Welche Vorteile bietet uns das Waldbaden?

Es gibt Studien, in denen untersucht wird, wie sich selbst ein Blick in die Natur positiv auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirken kann. Eine Studie wurde über einen Zeitraum von etwa neun Jahren in einem Krankenhaus durchgeführt. Die Hälfte der Patienten befand sich in einem Raum mit Blick auf Bäume, die andere Hälfte in einem Raum mit Blick auf eine Ziegelmauer. Alle hatten denselben Eingriff, aber die Patienten mit Blick auf Bäume fühlten sich schneller wieder besser und brauchten weniger Schmerzmittel als die, die auf eine Mauer blickten. Es sind auch Studien in Gefängnissen durchgeführt worden, und Inhaftierte, die grüne Blätter sehen können, sind ruhiger, neigen weniger zu Gewalt und sind weniger anfällig für Depressionen.

Ein weiterer Vorteil ist die Wertschätzung der Natur. Sie ist für die Menschheit von entscheidender Bedeutung, denn wenn wir die Natur nicht lieben, schützen wir sie nicht. Jüngere Generationen verbringen mehr Zeit in Innenbereichen als je zuvor. Mehr Zeit mit Computern, mehr Zeit mit anderen Geräten und weniger Zeit in der Natur. Viele Kinder lernen die Namen von Pflanzen, Vögeln, Insekten und Bäumen nicht mehr. Wenn sie wiederum Kinder haben, können sie dieses Wissen und diese Wertschätzung also nicht weitergeben. Das Waldbaden ist eine großartige Möglichkeit, die Verbindung zur natürlichen Umwelt wiederherzustellen und sich gleichzeitig Zeit für sich selbst zu nehmen.

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