19
Dezember
2023
|
14:34
Europe/Amsterdam

Ziele setzen mit dem olympischen Dreispringer Christian Taylor

Lesedauer: 7 minuten

Jedes Ziel, ob groß oder klein, kann ein Schritt zu einem glücklicheren Leben sein. Wichtig ist auch, auf welchem Weg wir unsere Ziele erreichen.

Ein Ergebnis (ein Ziel) anzustreben, ist ein wichtiger Aspekt des Lebens. Das ist nicht immer einfach, und der Weg kann schwer sein, aber Zielsetzungen gehören zum guten Leben. Sie geben dem Leben Sinn und Zweck, weisen uns die Richtung und wecken unser Interesse – all das fördert die allgemeine Zufriedenheit.

Wir sprachen kürzlich mit dem olympischen Dreispringer Christian Taylor über seine Vorgehensweise (nach einer Verletzung) und seine Erfahrungen mit Zielsetzungen auf seinem Weg zu den Olympischen Spiele 2024 in Paris.

Welchen Plan haben Sie nach Ihrer Verletzung für Ihren Weg nach Paris 2024 aufgestellt?

Die Achillessehne ist wichtig für das Laufen und noch wichtiger für das Springen, daher war zunächst gar nicht klar, ob es überhaupt eine Rückkehr zum aktiven Sport geben würde. Sie ist eine der wichtigsten Sehnen, die beim Springen Energie absorbieren und freisetzen muss – daher war die Verletzung zunächst ein Rückschlag. Ich machte den Chirurgen und meinem Therapeuten klar, dass mein Hauptziel die Teilnahme an den Olympischen Spiele 2024 in Paris war. Nachdem sie verstanden hatten, dass ich nicht nach schnellen Lösungen suchte, und ich verstanden hatte, dass es eine Weile dauern würde, hatte ich ihre volle Unterstützung. Ich musste dann Schritt für Schritt ein detailliertes Rehabilitationsprogramms aufbauen.

Dabei geht es darum, alles richtig zu machen. Ich muss abwägen, inwiefern ich eine erneute Verletzung riskieren wollte, die für mich letztendlich das Ende meiner Sportlerlaufbahn bedeuten würde. Und was man von vornherein richtig macht, braucht man nicht immer wieder aus Neue zu tun. Mit dieser Einstellung gingen wir das gesamte Rehabilitationsprogramm an.

Konnten Sie sich an den ursprünglichen Plan halten oder mussten sie ihn anpassen?

Wir haben den Plan zwar bewusst flexibel gestaltet, aber mit klaren Meilensteinen, zum Beispiel:

               3 Monate: Gehen ohne Krücken

               6 Monate: Schneller gehen

Offenheit und Flexibilität sind bei der Zielsetzung so wichtig, weil das Leben immer wieder Überraschungen aufwirft. Man mag seinen Plan haben, aber wenn das Leben uns einen Strich durch die Rechnung macht, zählt die Anpassungsfähigkeit. Aus meiner Erfahrung weiß ich: Je flexibler ich mit meinem Plan umgehe, umso positiver bleibt meine Einstellung. Selbst wenn ich Meilensteine nicht termingerecht erreicht habe, wusste ich dennoch, dass ich zumindest auf dem richtigen Weg bin. Das hilft mir, positiv zu bleiben, anstatt es als Versagen zu sehen.

Wie ist dieses Jahr für Sie bisher gelaufen?  Wie fühlen Sie sich im Moment?

Es war unglaublich. Natürlich gab es Momente, in denen ich unsicher war und das Gefühl hatte, dass es nicht weiter aufwärts ging und dass ich möglicherweise die Grenzen dessen erreicht hatte, was mein Körper mir ermöglichen würde. Ich habe eine Betreuerin, mit der ich jede Woche spreche, und sie hat mir geholfen zu erkennen, dass ich den alten Christian loslassen und akzeptieren musste, dass die Verletzung mich verändert hat. Ich neige nicht zum ständigen Vergleich, aber dennoch verschwendete ich zu viel Energie darauf, an das zurückzudenken, was ich früher tun konnte. Sie hat mich ermutigt, nach vorne zu blicken – zu akzeptieren, was ich bin, was ich im derzeit tun kann und was ich für möglich halte. Erst seit ich das wirklich akzeptiert habe, mache ich wieder echte Fortschritte.

Stellen Sie mehr als einen Plan auf, wenn Sie sich ein Ziel setzen?

Mein Ziel, der Sieg in Paris 2024, ist unverrückbar, meine Meilensteine hingegen nicht. Wie ich das Ziel erreiche, ist etwas flexibler. Wenn ich ein Zwischenziel nicht erreiche, gibt meine Einstellung mir immer noch einen Vorsprung vor den meisten meiner Mitbewerber. Mindestens ebenso wichtig wie meine körperliche Fähigkeit sind meine Einstellung zum Wettbewerb, meine Motivation und wie ich mit Rückschlägen umgehe. Das ist also mein Vorsprung im Wettbewerb.

Natürlich erlebe ich Momente der Niederlage und Enttäuschung – aber ich verharre nicht darin. Es ist wie beim Golf: Oft landen die Abschläge im Gebüsch und ich ärgere mich, weil ich es mir besser vorgestellt hatte. Aber bevor ich den nächsten Schlag mache, muss ich das abschütteln. Das gilt auch für das Leben. Man erlebt die Gefühle, aber irgendwann muss man sie loslassen und wieder weitermachen.

Woher stammt Ihre Einstellung? Mussten Sie sie lernen?

Ich glaube, das kommt von meinem Vater. Er sagte mir immer, dass ich loslassen sollte. Als ich jünger war, fand ich das frustrierend, denn ich fühlte mich und meine Welt nicht verstanden. Er bestand jedoch darauf, dass auch ich scheitern und Rückschläge erleben würde – öfter als Erfolge. Und wenn man an diesen Enttäuschungen festhält, halten sie uns von unserem nächsten Erfolg ab. Er hat mir das sehr deutlich vermittelt, aber ich habe erst im Laufe der Jahre erkannt, wie wertvoll das ist. Heute funktioniert das wie eine wasserfeste Jacke. Es trifft mich, ich fühle es und dann lasse ich es einfach los.

Wie involviert sind Ihre Familie, Freunde und andere Unterstützer für Sie?

Ich habe ein sehr starkes Netzwerk, das mich unterstützt. Diese Menschen sorgen dafür, dass ich stets die Füße auf dem Boden behalte, wenn alles super läuft – und wenn es mal nicht so gut klappt, bauen sie mich wieder auf. Sie sind für mich enorm wichtig. Als Erwachsener setze ich mir heute meine eigenen Ziele. Aber meine Eltern haben mir beigebracht, immer mein Bestes zu geben.

Sie haben mich stets dazu ermutigt, mich zu informieren, damit ich das, was ich tue, optimal umsetzen kann. Mit dieser Einstellung und Arbeitsmoral aufgewachsen zu sein, unterscheidet mich von meinen Mitbewerbern. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar. Sie haben mir Halt durch alle Höhen und Tiefen gegeben und mich angetrieben, wenn ich Antrieb brauchte.

Hat sich Ihre Einstellung im Laufe der Jahre geändert?

Ja. Ich hatte bereits vor der Pandemie die psychiatrische Betreuung begonnen, und das war bereits ein Zeichen der Reife – die Bedeutung der psychischen Gesundheit zu erkennen und Selbstfürsorge zu üben. Wenn man jung ist, fühlt man sich praktisch unbesiegbar. Mit zunehmendem Alter erkennt man dann die Bedeutung der Selbstfürsorge und, wenn es um Sport geht, der längeren Erholungszeiten und der Folgen. Das reicht weit über mich selbst hinaus, denn heute berücksichtige ich bei meinen Entscheidungen auch meine Frau und meine Familie. Meine Einstellung entwickelt sich also immer noch weiter.

Wie sorgen Sie dafür, dass Sie motiviert bleiben?

Dafür sorgen die Kinder und Jugendlichen, mit denen ich zu tun habe. Ich arbeite seit 2014 mit der gemeinnützigen Organisation Classroom Champions zusammen, die es mir ermöglicht, benachteiligte Kinder zu unterstützen. Ich erreichte bei den Olympischen Spielen 2012 ein Lebensziel und war wirklich stolz. Aber als ich auf dem Podium stand und die Nationalhymne hörte, fühlte ich mich irgendwie allein und wusste, dass es meinem Leben mehr geben musste. Obwohl meine Familie da war, fühlte ich mich weit von den Menschen entfernt, die ich repräsentieren wollte. Ich sprach mit meinem Manager darüber, wie ich dem Weltrekord hinterherjagen könnte – aber das schien mir nicht genug zu sein.

Ich brauchte ein Gefühl der Zugehörigkeit, und mein Manager schlug Mentoring und die Arbeit mit Kindern vor. Ich bin viel unterwegs und fürchtete zuerst, dass das schwierig werden könnte, aber Classroom Champions ist ein Programm für das Online-Mentoring, bei dem ich mit Schülern und Lehrern in den ganzen USA zusammenarbeite. Ich habe bereits viele Klassen erlebt, und es ist ein tolles Gefühl, ein guter Einfluss im Leben eines Heranwachsenden zu sein. Es gab meinem Training einen neuen Sinn, und ich glaube, dass ich auf diese Weise vielen Menschen helfen und wirklich etwas bewegen kann. Es geht bei meiner Karriere nicht mehr nur um mich, sondern darum, was ich ihnen damit vermitteln und von ihnen lernen kann. Ich liebe die Klarheit von Kindern, und wenn ich mit etwas ringe, erinnern sie mich daran, die Gedanken nicht ständig sinnlos kreisen zu lassen.

Auf dem Siegertreppchen in Rio erlebte ich erstmals so intensive Emotionen, dass mir die Tränen kamen. Ich dachte nicht an meinen eigenen Erfolg, sondern an die Kinder, die mir in den letzten vier Jahren zugesehen hatten und die ich inspirieren konnte.

Welche Fähigkeiten sind wichtig, wenn man ein bestimmtes Ziel anstrebt?

Ausdauer und Widerstandsfähigkeit. Ich sage es immer wieder: Wir müssen Scheitern und Rückschläge verkraften. Wichtig ist, dass wir aus ihnen lernen. Niemand erinnert sich an die unzähligen Wettbewerbe, die ich verloren habe, weil ich gewinnen konnte, wenn es wirklich zählte. Ich habe Widerstandsfähigkeit bewiesen und nie aufgegeben. Sich mit den richtigen Menschen zu umgeben, ist der Schlüssel zum Erreichen des Traumziels.

Feiern Sie die kleinen Erfolge?

Und wie. Ich bin dankbar für jeden neuen Tag, und bei der Leichtathletik feiere ich mit zunehmendem Alter Dinge, die ich vor 10 Jahren als selbstverständlich hingenommen hätte. Nach der Verletzung war es mir wichtig, jeden erreichten Meilenstein zu feiern, denn es hätte immer auch anders ausgehen können.

Schalten Sie außerhalb der Saison ab?

Das dauert meiner Erfahrung nach etwa drei Wochen. Selbst im Schlaf denke ich noch darüber nach, was ich besser hätte machen können. Hätte ich mehr Ruhe gebraucht? Hätte ich diesen zusätzlichen Zwischenstopp auf der Anreise einlegen sollen? Was habe ich meinen Wettbewerbern geschenkt? Ich denke an alles, was ein Faktor gewesen sein könnte. Ich spreche immer von Verbesserung um 1 Prozent, denn das brauchen wir letztendlich. Wenn wir uns um 1 Prozent verbessern können, können wir stolz sein.

Aber was am Ende der Saison zählt, ist die Gewissheit, dass ich mein Bestes gegeben haben, denn niemand kritisiert uns schärfer als wir selbst. Ich mache mir Notizen, damit ich auf das Jahr zurückblicken und auf Verbesserungspotenziale achten kann. Ein Rückschlag ist eine Verschwendung, wenn man nicht daraus lernt. Nachdem ich diese Überlegungen in den ersten drei Wochen abgeschlossen habe, schalte ich ab.

In welchem Maß beruht Ihr Erfolg Ihrer Meinung nach auf Ihrer Einstellung, in welchem auf Ihrem natürlichen Talent?

Meine Einschätzung war schon immer, dass meine Erfolge auf meine Einstellung zurückzuführen sind. Wenn ich in einem Raum mit anderen Sportlern bin und nach links und rechts schaue, bin ich nicht talentierter als jeder andere – aber genau das motiviert mich. Ich blicke anderen Sportlern immer in die Augen, um herauszufinden, wie motiviert sie sind. Ihre Motivation sagt mir, wie viel sie geben können. Das ist eine Frage der Psychologie, daher würde ich sagen, dass mein Erfolg zu 100 Prozent auf meiner Einstellung beruht.

Welchen Rat haben Sie für Menschen, die derzeit auf ein Ziel hinarbeiten?

Setzen Sie sich ambitionierte Ziele und wagen Sie große Träume. Es ist viel zu leicht, immer auf Nummer Sicher zu gehen. Was auch immer Sie anstreben: Diese Einstellung, diese Widerstandsfähigkeit bedeutet, dass Sie einen Weg finden, sich durchzusetzen, und etwas finden, das Sie motiviert und stärker ist als die Widrigkeiten, denen Sie ausgesetzt sind. Das ändert sich mit jedem Ziel und jeder Saison, aber finden Sie heraus, was es ist. Machen Sie es zu Ihrem Fokus.

Ob Sie ein Ziel im Sport, in der Gesundheit, am Arbeitsplatz oder für ein ausgewogenes Leben anstreben – die Denkweise hinter der Zielsetzung gilt in jedem Fall. Wie Christian sagt: Es geht um die Einstellung. 

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